Mai 06

Der Schlag hinter dem Rat

Warum wir so gerne Ratschläge geben, obwohl sie meistens eh nicht befolgt werden.

Wenn Kollegen und Mitarbeiter in einer schwierigen Situation stecken – soll man einen Ratschlag geben oder lieber nicht?

In meinem aktuellen Onlinekurs ist das Thema in einer Q&A aufgekommen. Ist Feedback leichter anzunehmen, wenn es als Ratschlag formuliert ist?

Mark Twain hat dazu einmal gesagt: „Ich gebe Ratschläge immer weiter, das ist das einzige, was man damit anfangen kann“. Er ging übrigens mit seinem Verlag 1894 pleite. Vielleicht aus dem Grund, weil er die Ratschläge der Anderen weitergab und ignorierte. Aus meiner Sicht gibt es bessere Wege zu unterstützen.

Wir alle kennen die Situation: Wir geben einem zu gutmütigen Kollegen, der immer für alle Anderen den Schlussdienst übernimmt einen Rat, wie es besser für ihn laufen könnte. Wir raten einer Freundin, die immer wieder in die On-Off Schleife mit dem bindungsscheuen Mann einsteigt endlich sich einen neuen Partner zu suchen. Und trotzdem bleibt alles beim Alten – der Kollege macht weiterhin den Schlussdienst, und die Freundin dreht die nächste Schlaufe in der On-Off-Kiste.

Warum geben wir also so gerne Ratschläge, wenn sie eh nicht befolgt werden? Laut einer amerikanischen Studie mehrerer Universitäten stützt das Ratgeben massgeblich unser Selbstbewusstsein und unsere Motivation. Wenn wir also Anderen Ratschläge geben, fühlen wir uns besser. Gleichzeitig verändern wir durch einen Ratschlag das Setting: Wir stellen uns über unseren Gesprächspartner. Denn er ist in einer Situation, aus der er aktuell keinen Ausweg sieht, wir haben mit einem einzigen Ratschlag die Lösung parat.

Es kann viele Gründe haben, warum sich jemand mit einem Problem an uns wendet: Die Suche nach einem offenem Ohr? Einem Verbündeten? Der Ausstieg aus dem eigenen Gedankenkarussel? Oder doch einen Ratschlag?

Was brauchen wir Menschen eigentlich wirklich, wenn wir uns jemandem anvertrauen?

WIR BRAUCHEN LUFT
In einem Gespräch mit einem Kollegen oder einem Freund verschaffen wir uns Luft. Etwas auszusprechen, das schon lange Zeit im eigenen Kopf hin und her gewälzt wird entlastet. Wie aus einem zu prallen Luftballon etwas Luft entweichen zu lassen, so dass er nicht mehr zu platzen droht.

WIR SORTIEREN UNS
Indem wir die Situation nicht nur in Gedanken beleuchten sondern einem Anderen zu erklären versuchen sortieren sich die oftmals wirren Gedanken. Wir bekommen also durch das Aussprechen Struktur in unser Problem. Wenn wir das Problem formulieren, dann entwickeln wir eine Distanz zum Problem, wir versuchen es aus einer Art Vogelperspektive zu schildern, dass es umfänglich von unserem Gegenüber verstanden werden kann.

WIR WÜNSCHEN UNS EMPATHIE
Wenn wir uns einem Kollegen anvertrauen, dann wünschen wir uns Verständnis und Zuspruch, eine Anerkennung für die Last die wir gerade zu tragen haben. – Nicht dass es doch „so einfach“ wäre das Problem durch einen einzigen Ratschlag zu lösen.

UND MANCHMAL WÜNSCHEN WIR UNS EINEN RAT
Manchmal wünschen wir uns auch einen Ratschlag. Aber nur dann, wenn wir ihn wirklich einfordern. „Was würdest du in meiner Situation tun?“

Einen Rat zu geben, ist immer auch ein Wagnis.

Sobald wir einen Rat geben, geben wir eine Erwartungshaltung in das Gespräch. Wir wünschen uns, dass der Ratschlag hilft, befolgt wird und zu einer Verbesserung der Situation führt. Ab jetzt sind wir mit unserem Selbstwert in der Gesprächssituation. Wird unser Rat befolgt, fühlen wir uns bestärkt, wissend, und klug. Wird er nicht befolgt, macht das auch etwas mit uns – und mit der Beziehung zum Kollegen. Vielleicht sind wir sauer, weil er den Rat nicht befolgt. „Dann hätte er ja gar nicht fragen müssen“.

Eine weitere Gefahr ist, dass wir viel zu früh einen Rat geben und somit dem Betroffenen die Chance nehmen, selbst ein klares Bild der Situation zu entwickeln und selbst eine Lösung zu entwickeln. Margot Schmitz (Psychotherapeutin) nennt das „Das Problem mit der Lösung zudecken“. Was wäre, wenn unser Rat zu einer Verschärfung der Situation beiträgt: Beispielsweise geben wir dem befreundeten Kollegen den Rat seinen Mitarbeiter mal richtig zur Brust zu nehmen und ein ernstes Gespräch zu führen. Jetzt ist der Mitarbeiter krank gemeldet, die Arbeit bleibt liegen, es konnte keine Übergabe erfolgen – die Situation ist also schlechter als vorher. – Wir hängen mit unserem Ratschlag drin. Ratschläge sind also gar nicht so ohne.

Ich empfehle gerne, so wenig wie möglich Ratschläge zu geben – auch wenn es oft schwer fällt. Mir übrigens auch 😉

Was sehr unterstützend wirkt, sind Fragen zum Problem und zum Motiv – das bietet Hilfe zur Selbstklärung. Der Betroffene hat die Möglichkeit eine klare Haltung zu entwickeln und kommt vielleicht selbst zu einer Entscheidung.

Viel Freude bei Gesprächen ohne Ratschlag.